Derinkuyu
Der Fundort und seine Umgebung
Vorab etwas zur Geologie. Das heutige Kappadokien mit seiner einzigartigen Felsen- und Kulturlandschaft verdankt seine Entstehung einem jungtertiären Vulkanismus. Der südlich von Kayseri heute noch imposant auf fast 4000 m aufragende Vulkan Erciyes ist auch für die bis zu mehreren hundert Meter mächtigen Tuffablagerungen in Kappadokien verantwortlich. Tuffstein ist weich und relativ gut zu bearbeiten, daher ein idealer Boden um Höhlen daraus zu formen.
Die unterirdische Stadt von Derinkuyu liegt in der Nähe des gleichnamigen Ortes. Dieser liegt in der türkischen Provinz Nevsehir 29 Kilometer südlich der Provinzhauptstadt. Neben Derinkuyu werden in Kappadokien über 50 unterirdische Städte vermutet; 36 wurden bislang entdeckt, aber nur die wenigsten wurden auch erforscht. Die Entstehungszeit dieser Städte und auch Derinkuyus ist umstritten. Manche Archäologen sehen in den Hethikern vor über 4000 Jahren die Erbauer. Andere vermuten, dass Christen die Städte zum Schutz vor Verfolgern angelegt hätten. Sicher ist, dass erst die christlichen Bewohner zwischen dem 6. und dem 10. Jahrhundert den Anlagen ihre heutige Form gaben.
Bereits im 4. Jahrhundert v. Chr. wurde der Ort erwähnt, eine kontinuierliche Besiedlung ist durch Münzfunde belegt, die den Zeitraum von der Römischen Kaiserzeit bis zu den Seldschuken. Die unterirdische Stadt Derinkuyu beherbergte bis zu 20.000 Menschen in ihren tief in den Boden reichenden Stockwerken. Um in den Höhlen nicht wie in einem unterirdischen Gefängnis eingeschlossen zu sein, bauten die Einwohner riesige, Kilometer lange, Tunnel bis zur unterirdischen Nachbarstadt. Die Stadt hat mehrere Eingänge, vor die bei Gefahr riesige, runde Steinplatten geschoben wurden. Auch die Hauptgänge im Labyrinth der unterirdischen Stadt konnten mit 200 bis 500 Kilogramm schweren Steinplatten verschlossen werden. Die Steine könnten außerdem als Schutz vor dem Feuer der damals noch aktiven Vulkane gedient haben. Es hat sich definitiv, als die Stadt bewohnt war, um kein improvisiertes Fluchtasyl gehandelt. In der unterirdischen Stadt gab es sogar eine Art Telefon. Fünf bis zehn Zentimeter breite Belüftungsluftlöcher in der Decke und im Fußboden verbanden die Höhlen auf verschiedenen Etagen miteinander. Durch diese Löcher konnten die Nachbarn miteinander sprechen - ohne den langen Weg durch die engen Tunnel zu gehen. Im Falle eines Überfalls konnten sich sämtliche Bewohner schnell gegenseitig warnen.
Das Gemeinwesen verfügte über eine verfeinerte Infrastruktur. Es gab riesenhafte Gemeinschaftsräume, Wohnungen mit Schlafzimmer und Wohnzimmer, Ställe und sogar einen umfänglichen Weinkeller, von Geschäften und anderem gar nicht zu reden. Die Räume liegen auf verschiedene Stockwerken, bisher hat man in Derinkuyu deren 7 tief ins Erdreich hinein freigeschaufelt. Die einzelnen Wohnsilos sind untereinander mit Schächten verbunden, die Eingänge durch große Türen verschlossen, die von innen verriegelt wurden. Die genialen Erbauer verstanden sogar was von Ventilationstechnik: Mehrere Luftschächte wurden freigelegt, durch die mit einem raffinierten Zirkulationssystem Frischluft bis in die letzten Winkel gelangten. In tief gelegenen Etagen fand man Brunnen, Grabstätte, Waffenlager Küchen, Vorratsräume. Dazu kommen einige Kirchen, wie die sogenannte „Kleeblatt-Kirche“ im siebten Stockwerk, die in Form eines Kreuzes angelegt ist. Diese ist ganze 25 Meter lang, zehn Meter breit und drei Meter hoch. Das sind wahrhaftig enorme Ausmaße für einen unterirdischen Sakralbau - und das alles tief unter der Erde.
Aufsicht der sogenannte "Kleeblatt-Kirche" von Derinkuyu, die in Form
eines Kreuzes angelegt ist
Derinkuyu ist schon aufgrund seines nachweislich hohen Alters ein höchst bedeutendes archäologisches Objekt und Nährboden für Gerüchte, Theorien und Rätsel. Über die „Unterirdischen Städte Kappdokiens“ haben bereits antike Autoren wie Plinius und Xenophon ehrfürchtig berichtet... letzterer mit einem Bericht über griechische Kolonisten, die die verlassenen unterirdischen Städte im 4. Jahrhundert vor Christus eine Zeitlang bewohnten - und die bei den Ausgrabungen bisher gemachten Funde, lassen viel Spielraum zur Spekulation...
Ob in der größten Höhlenstadt Derinkuyu wirklich einmal bis zu 20.000 Menschen lebten, kann heute niemand mehr sagen. Die gängigste Theorie zur Motivation zur Anlage unterirdischer Städte in Kappadokien ist die Unterstellung eines Schutzbedürfnisses. Manche Forscher glauben, dass die Städte nur in akuter Kriegsgefahr bewohnt wurden. Andere Forscher vermuten hingegen, dass Feinde doch sehr leicht die Luftschächte hätten verschütten können.Weit weniger spektakulär ist die Annahme, dass die Städte zum Schutz vor den extremen Klimabedingungen der Region angelegt wurden, denn die Winter sind kalt und schneereich, die Sommer heiß und trocken. Die unterirdischen Anlagen ermöglichten nach dieser Theorie die Lagerung der landwirtschaftlichen Erträge bei konstanter Temperatur und geschützt vor Nässe und Dieben. Daher glauben sie, dass die Städte in Friedenszeiten bewohnt wurden, um vor den Vulkanen sicher zu sein. Was zwischen dem 5. und 14. Jahrhundert hier tatsächlich geschah und warum die Felsenstädte dann verlassen und zugeschüttet wurden, ist ein ungelöstes Rätsel!?
Die unterirdischen Kleeblatt-Kirche in Derinkuyu